Unternehmensnachfolge - und dann?

Jeden Tag treffen wir rund 20.000 Entscheidungen. Kleine oder große, wir treffen sie bewusst oder unbewusst. Einige Entscheidungen heben sich dabei von der Masse ab: Für sie gibt es keine Blaupausen, wir müssen sie ganz persönlich und individuell treffen. Zum Beispiel die Entscheidung über die Unternehmensnachfolge.

Monika Bone erklärt, was das Fünf-Grenzen-Modell mit Nachfolge zu tun hat, und was Unternehmerinnen und Unternehmer tun können, um ihre Rolle nach der Übergabe zu gestalten.

Die erste Grenze: Signale wahrnehmen

Unternehmerinnen und Unternehmer leben in der Regel stark im Hier und Jetzt: Neben den unzähligen Aufgaben im unternehmerischen Alltag haben sie kaum Gelegenheit, von ihren liebgewonnen Routinen abzurücken. Sie merken mitunter gar nicht, dass es Zeit für eine Veränderung ist – sie stehen vor der Grenze der Wahrnehmung. Wie lässt sich diese Grenze überwinden? Zunächst einmal ist es wichtig, diese Grenze überhaupt zu erkennen. Dazu braucht es Signale von außen, wie Monika Bone erklärt: „Das kann zum Beispiel das erste graue Haar sein. Oder man stolpert über die Todesanzeige eines Unternehmerkollegen, der im gleichen Alter war. Auch die Zusammenarbeit mit jungen Menschen, zum Beispiel mit einem Auszubildenden, kann Signalwirkung haben.“ All diese Signale sorgen zunächst dafür, dass Unternehmerinnen und Unternehmer ihre Umgebung anders wahrnehmen. Man kennt diesen Effekt aus anderen Alltagsbereichen: Zum Beispiel sehen werdende Eltern plötzlich viel mehr junge Familien, die ebenfalls Nachwuchs erwarten. Wer sich ein Auto eines bestimmten Typs kaufen möchte, sieht auf einmal nur noch diese Modelle durch die Stadt fahren. „Diese Wahrnehmung ist der erste Schritt“, betont Monika Bone. „Damit verändert sich jedoch noch nichts. Denn ich begreife noch nicht, dass diese Dinge etwas mit mir zu tun haben.“

Die zweite Grenze: Aufmerksamkeit verändert sich

Kommen wir noch einmal auf das Beispiel der jungen Auszubildenden zurück: Zunächst nimmt der Unternehmer oder die Unternehmerin ihn oder sie nur wahr, bewundert ihn oder sie vielleicht für den Tatendrang und seinen und ihren Elan. Die zweite Grenze ergibt sich aber erst durch eine weitere Erkenntnis dazu. „Plötzlich sehe ich: Dieser junge Auszubildende ist 19 Jahre alt. Ich selbst bin 49, 59 oder auch 65 Jahre alt“, veranschaulicht Bone. „Auf einmal drängt sich die Erkenntnis auf: Das Leben ist endlich.“

Jetzt ist es wichtig, diese Wahrnehmung in Sprache umzuwandeln, damit sie bewusst und real wird. Wir müssen darüber reden und es muss jemand hören. Sonst passiert nichts. Dieser Prozess ist im Gehirn automatisiert.

Sich mit einer fernen Zukunft zu beschäftigen, ist für unser Gehirn enorm schwierig. „Unser Gehirn ist ein Steinzeitmodell. Es ist entwickelt, um gute Entscheidungen im Jetzt zu treffen. Bei langfristigen Entscheidungen wird tut es sich schwer“, weiß Bone. Deshalb müssen Unternehmerinnen und Unternehmer ganz gezielt Situationen schaffen und über ihre Zukunft sprechen. Sie überlegen am besten laut, wie sie ihre Zukunft gestalten wollen und können so eine klare Vision für der Zeit nach der Übergabe entwickeln.

Die dritte Grenze: Die Dinge gewinnen eine Bedeutung

Wer vor der dritten Grenze steht, stellt einen Zusammenhang her zwischen den wahrgenommenen Signalen und sich selbst. „Vorher nehme ich die Signale eher wie die Nachrichten in der Tagesschau wahr. Ich kommentiere sie von außen und glaube nicht, dass sie mich persönlich berühren,“ erklärt Bone. Bei Menschen, die vor der dritten Grenze stehen, ändert sich das. Es tritt ein ähnlicher Effekt ein wie bei vielen Unternehmerinnen und Unternehmer, die erstmalig von der Havarie des Tankers Ever Given im Suez Kanal gehört haben. Auf den ersten Blick ist das Ereignis tausende Kilometer weg und berührt den eigenen Alltag nicht – bis schließlich auch die eigenen Lieferketten unterbrochen sind.

Jetzt gilt es zu realisieren, dass es nicht um die Zukunft geht, sondern um mich und mein Leben!
 

Die vierte Grenze: veränderungsbereit werden

Je nach Bedeutung der Information kommen jetzt Gefühle ins Spiel. Wir freuen uns, weil der Vortrag bei der Kammer bestätigt, was wir selbst schon so lange dachten, wir erschrecken, weil wir uns noch nicht um die Nachfolge gekümmert haben oder sind ärgerlich, dass wir den Kindern nicht längst die entscheidende Frage gestellt haben.

Eigentlich wachen wir erst in diesem Moment richtig auf und werden sehr aufmerksam. Jetzt wissen wir, dass die Bedeutung der Information wichtig für uns ist.

Das macht veränderungsbereit. Wenn Unternehmerinnen und Unternehmer ihren Betrieb an einen Nachfolger übergeben, ändert sich gleichzeitig ihre eigene Rolle. Zwangsläufig müssen sie sich die Frage stellen: Was muss ich von meinem alten Selbstbild loslassen? Wie sieht meine Rolle in Zukunft aus? Sich mit dieser Veränderung zu beschäftigen, ist schwierig. „Wir haben eine Art systematisches Immunsystem oder einen inneren Grenzwächter“, erklärt Bone. „Er möchte alles erst einmal beim Alten belassen. Wieso soll sich etwas verändern, dass viele Jahre lang gut funktioniert hat? “ Unternehmerinnen und Unternehmer müssen dReflektion und Auszeiten eshalb lernen, die Veränderung zuzulassen und auszuhalten. So können sie ihre neue Rolle entwickeln.

Bei der Suche nach einer neuen Rolle hilft der Austausch mit anderen. Das geht zum Beispiel in Unternehmensnetzwerken. „Es braucht Reflexionsflächen“, weiß Nachfolge-Coach Bone. „Der Austausch mit Menschen, die nicht zu meinem Alltag gehören, hilft dabei, neue Ansätze für mich selbst zu finden.“ Auszeiten sind ebenfalls eine gute Möglichkeit, um bei sich selbst zu sein. Es muss nicht die Wanderung über den Jakobsweg sein: Auch ein Kurzurlaub am Meer oder in den Bergen sind hilfreich. „Wichtig ist, dass man diese Auszeiten allein wahr nimmt, also ohne Begleitung und ohne vor Ort noch jemanden zu treffen“, weiß Bone aus Erfahrung.

Als Übergabecoach hilft die Velenerin Unternehmerinnen und Unternehmern dabei, die nötigen Veränderungen in Angriff zu nehmen und sich mit der Zeit nach dem Stabwechsel auseinanderzusetzen. Denn die Weichen der Veränderung können an jeder Grenze gestellt werden. Dazu appelliert sie immer wieder zum Handeln: „Ich bin eine Art Unruhestifterin. Ich hole den Unternehmer aus seiner Alltagstrance heraus“, verdeutlicht sie. „Es geht darum, immer wieder positiv anzustacheln und jemanden nicht in Ruhe zu lassen – im positiven Sinne.“

Die fünfte Grenze: handeln

Erst, wenn Unternehmer:innen ihre neue Rolle gefunden haben, können sie bewusst den Weg der Unternehmensnachfolge gehen und neu handeln. Dann sind Gespräche mit der Bank möglich, dann lässt sich mit einem Steuerberater sprechen. „ Die Kammern haben gute Nachfolgepläne parat, die helfen, den Prozess strukturiert anzugehen. Diese guten Nachfolgepläne können aber erst greifen, wenn ich den Kampf mit meinem inneren Grenzwächter ausgefochten habe und sagen kann: ‚Ja, ich will aus der Rolle des Machers in eine neue Rolle wechseln‘“, beschreibt Bone den Prozess. „Innere Klarheit erleichtert den Nachfolgeprozess enorm. Äußere Rahmenbedingungen lassen sich dann viel einfacher regeln.“ Wenn der Übergebende seine zukünftige Rolle definiert hat, hilft das auch seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin: Denn so zeigt der Unternehmer, dass er ihm oder ihr die Unternehmensführung zutraut. Die eigene Klarheit kann außerdem dabei helfen, potenzielle Nachfolger auf sich aufmerksam zu machen. „Wenn ich offen kommuniziere, dass ich einen Plan für meine Zukunft habe, kann das ein gutes Marketinginstrument sein“, erläutert die Prozessbegleiterin.

 

Fazit: Rechtzeitig beginnen

„Je früher man mit einem Reflexionsprozess beginnt, desto eher kann man gestalten“, unterstreicht die Beraterin. Sie rät deshalb Unternehmerinnen und Unternehmern, sich möglichst viel mit der Unternehmensnachfolge auseinanderzusetzen. Dabei geht es nicht nur um die eigene Zukunft, sondern auch um die unternehmerische Fürsorge für das Team: „Wenn ich mich nicht um die Nachfolge kümmere, kann es sein, dass ‚meine‘ Mitarbeiter demnächst einen neuen Job suchen müssen – das wollen die wenigsten Unternehmerinnen und Unternehmer“, macht Bone klar. „Abwarten ist in dem gesamten Prozess zu jedem Zeitpunkt eine schlechte Strategie.“ Das gilt auch dann, wenn die eigenen Kinder in absehbarer Zeit die Geschäfte übernehmen. „Unternehmerinnen und Unternehmer müssen trotz des anstehenden Nachfolgeprozesses und auch in einem Nachfolgeprozess ihren Betrieb weiter führen und nicht nur verwalten.“ Wichtige Entscheidungen dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden, sondern müssen – gegebenenfalls im engen Austausch mit dem Nachfolger oder Nachfolgerin – dann getroffen werden, wenn sie anstehen.

Chance für alle Unternehmerinnen und Unternehmer

Sich so intensiv mit sich und seiner Rolle auseinanderzusetzen, kann für Unternehmerinnen und Unternehmer ungewohnt sein. „Diesen inneren Prozess muss man zulassen“, weiß Bone aus Erfahrung. „Wer wenig Übung darin hat, auf seine eigenen Gefühle zu schauen, für den ist das herausfordernd und mitunter auch beängstigend.“ Doch es lohnt sich: „Wir Menschen verändern mit viel Lust oder mit viel Frust“, betont die Nachfolge-Beraterin. „Wenn wir uns öffnen und den Prozess selbst in die Hand nehmen, macht die Veränderung viel mehr Freude.“  

Eine meiner wertvollsten Quellen für kulturelle Kompetenz:

Die heiligen Kühe und die Wölfe des Wandels
Struktur und Prozess kultureller Transformation und der Beitrag der kulturellen Kompetenz
von Elke Schlehuber und Rainer Molzahn
GABAL management

Hier können Sie direkt beim Autor in die Neuauflage des Buches schauen:

https://www.rmolzahn.eu/de/publikationen/die-heiligen-kuehe-und-die-woelfe-des-wandels

 

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